Umfragen
unter Künstlerinnen und Künstlern, sogenannten Kunstexperten oder Kritikern
werden immer dann interessant, wenn irgendwelche Probleme im Kunstbetrieb
auftauchen, also Sand ins Getriebe gestreut wurde. Auch bestimmte Moden
oder Strömungen können solche Umfragen evozieren. Dabei kommen die absurdesten
Antworten zusammen, wobei aber das Erscheinungsmedium, die Frageintention
und die Auswahl der Befragten schon bestimmte Tendenzen vorausahnen lassen.
Sieht man von diesen periodisch auftauchenden und anlaßorientierten Kunstdefinitions-
oder -kommentarversuchen ab, stellt grundsätzlich jede künstlerische Praxis
eine Definition dessen dar, was als Kunst zu betrachten wäre. Dabei ist
für die Praxis entscheidend, in welchem Kontext sie auftaucht; alles,
was nach den gesellschaftlichen Konventionen als Kunst erscheint, stellt
eine Bestätigung der Konventionen im Foucaultschen Sinne dar, die von
der Institution verwaltet werden. Für einige künstlerische Praktiken ist
die Überwindung, Überschreitung, Transformation oder Transgression dieser
Konventionen ein grundsätzliches Anliegen, ein Konstituenz.
Vor allem
die Performance wird als eine Praxis betrachtet, die sich vom gestalteten
Kunstobjekt entfernt. Nur die Funktion des weißen, neutralen Kunstpräsentationsraumes
ermöglicht die Deklaration bestimmter Praktiken, die im sogenannten öffentlichen
Raum allerdings als unkonventionelles Verhalten stigmatisiert würden.
In ihrer künstlerischen Untersuchung "What is art?" verlassen sich die
beiden deutschen Künstler Karin Meiner und Manfred Hammes nicht auf die
Definition des White Cube. Sie bitten zu unterschiedlichen Anlässen -
im öffentlichen Raum wie im halböffentlichen Kunstraum - Passanten um
ein Statement, auf ein Din-A-4 Blatt mit Filzstift ihre Meinung zu formulieren;
anschließend fotografieren sie die Person und präsentieren die Polaroids
unmittelbar am Ort des Geschehens. Die beiden Künstler setzen dieses Projekt
der Gefahr aus, nicht als Kunst erkannt zu werden.
Doch durch
den langen Zeitraum, indem sie dieser Unternehmung nachgehen - sie begannen
damit 1991 - versammeln sie eine große Anzahl von unterschiedlichen Befragten
an unterschiedlichen Orten und konservieren im soziologischen Sinn deren
Äußerungen (vgl. auch Projekte von Stephen Willats, der schon in den frühen
70er Jahren Laien befragte und die Antworten von diesen selbst in der
Ausstellung arrangieren ließ). Der Philosophiehistoriker Terry Eagleton
beantwortete beispielsweise die Frage "What is Art?" anläßlich des Symposions
"At the edge of the century" mit dem Satz: "Art is a social construct
- but so is fascism...." Dieses Projekt läßt sich aber nicht nur von der
empirischen Seite beleuchten, es transportiert auch eine ganze Reihe künstlerischer
Statements. Durch ihre Fragestellung suggerieren die Künstler dem Publikum,
daß es selbst die Aufgabe der Kunstdefinion übernimmt, indem es an diesem
Projekt partizipiert. Diese Aktion verzichtet auf eine auktoriale Leistung
im Sinne einer Handschrift des Künstlers, statt dessen reflektiert sie
die Meinungen der eigentlich Unbeteiligten. So wird die Kunstpraxis zur
unmittelbaren Situationsreflexion.
Auch der
humoristische Aspekt des Projekts sollte Erwähnung finden. Der lockere
und unernste Aktionismus, der sich in der freien Ansprache von Passanten
manifestiert, unterscheidet das Projekt "What is Art?" von der gegenwärtig
verbreiteten sogenannten Dienstleistungskunst (u.a. wenn Tobias Rehberger
das Museumspersonal stricken läßt), bei der Laien für die Kunstproduktion
vor Ort eingespannt werden und die entstandenen Arbeiten anschließend
als künstlerische Konzeption verkauft werden. Diese Praxis nimmt eine
Instrumentalisierung eigentlich Unbeteiligter vor. Wer sich jedoch zur
Frage "What is Art?" äußert, tut dies aus freier Entscheidung und hat
außerdem die Möglichkeit, seine Beteiligung durch Gesten und Mimik zu
kommentieren. Den humorvollen Umgang mit dem Publikum pflegen die beiden
Künstler Hammes und Meiner in souveräner Manier seit sie mit Freunden
zusammen mit ihrer Dada-Revue durch die Lande tourten. Die Präsentationsform
der Polaroids von "What is Art?" auf einem Tableau verweist deutlich auf
den Kunstkontext, in dem beide auch als Maler tätig sind. So ist das Projekt
doch eindeutig ein Kunstprojekt, das sich jedoch sehr flexibel der Situation
anpaßt, in der es stattfindet: Kunst ist nicht, was man von ihr erwartet
(Seth Siegelaub).
Stefan Römer
Köln, 1999
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