Manfred Hammes
                 




Hammes Augenleiste
Souvenirs, Souvenirs - Nomadische Überlegungen zu einigen Arbeiten von Manfred Hammes
Barbara Hess, Köln 2000
In seinem Aufsatz "Nomadische Überlegungen" (1990) definierte der Medienphilosoph Vilém Flusser "die Gattung Mensch in allen ihren Spielarten (Homo sapiens sapiens inbegriffen) [als] eine nomadisierende, jagende und sammelnde Säugetiergattung, die sich von den übrigen Gattungen durch das Benutzen von Werkzeugen unterscheidet." Und Flusser fand seit den späten achtziger Jahren immer mehr Hinweise darauf, dass wir - angesichts einer zunehmenden Unbewohnbarkeit der Welt - dabei sind, nach 10.000 Jahren der Sesshaftigkeit wieder in eine nomadisierende Lebensform zu wechseln. Diese ist für ihn - auf der phänomenologischen Ebene - gekennzeichnet durch das tägliche Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz und das jährliche Pilgern zu Stränden und Skipisten, aber auch durch die Migrationsbewegungen von Flüchtlingen und Arbeitssuchenden aus sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern in die Wirtschaftszentren. Für diesen flexibilisierten Lebensstil der Jetztzeit kann die Künstlerexistenz, für gewöhnlich nicht an einen festen Arbeitplatz oder Auftraggeber gebunden, als prototypisch gelten.


Die Arbeiten von Manfred Hammes aus den späten achtziger und den neunziger Jahren transportieren mittels verschiedener bildnerischer Strategien, durch materielle und immaterielle ‚Souvenirs', etwas von diesen aktuellen nomadischen Erfahrungen. Zu den häufig wiederkehrenden Motiven seiner Bilder gehören idealtypische Landschaften (Hügel, Flussläufe, Gebirgszüge), die meistens am oberen Bildrand positioniert und damit für den Betrachter in eine imaginäre Ferne gerückt sind, sowie kürzelhafte Darstellungen von Augen, die darauf hindeuten, dass das Wesentliche - entgegen der viel zitierten Behauptung des Fliegers und Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry - eben doch für das Auge sichtbar ist; Bildtitel wie Eyescape (1999) oder Augenland (1997) unterstreichen die Bedeutung einer visuellen Erfahrbarkeit der Umwelt für den Künstler. Ein wesentlicher Teil der Arbeiten von Manfred Hammes entsteht in Zusammenhang mit seinen Reisen, wenn auch überwiegend retrospektiv im Atelier und nicht vor Ort. Eine Ausnahme hiervon bildet vor allem sein Projekt Was ist Kunst?, an dem Hammes seit 1991 zusammen mit der Künstlerin Karin Meiner arbeitet. Bei diesem Projekt bitten sie Passanten und Ausstellungsbesucher, auf einem Blatt Papier den Satz "ART is..." zu vollenden, und fotografieren die Befragten und deren Statements mit einer Polaroid-Kamera. Die Polaroids werden dann am jeweiligen Ort ihrer Entstehung ausgestellt. Mit dem Nomadisieren geht bei Hammes also eine Bereitschaft einher, den Begriff ‚Kunst' buchstäblich in Frage zu stellen und ihn als abhängig von spezifischen kulturellen Kontexten anzusehen.


Auch in seinen weniger konzeptuell ausgerichteten, grafischen und malerischen Arbeiten verwertet Hammes heterogene Fragmente einer weit gestreuten Provenienz: In seinen collagierten Bildern finden sich mehr oder weniger natürliche Materialien (Wüstensand, kleine Steine, Papier, Stoff, Pappe), kunsthistorische Zitate und Werbeschriftzüge mit ihren pathetischen Glücks- und Unsterblichkeitsversprechen (Eternity) ebenso wie High-Tech-Objekte: CD-Rohlinge, die inzwischen fast schon wieder überholten Embleme des Information Age. Die CD-ROM ihrem digitalen Zweck zu entfremden und sie wie ein konventionelles bildnerisches Material - gewissermaßen wie einen unbehauenen Stein - einzusetzen, ist ein ironischer Seitenhieb auf den Kult des Immateriellen und ein Fingerzeig auf das rasante Veralten eben noch Neuer Technologien. Und auch in dem Aquarell Multitas-King (1996) persifliert Hammes den Wahn des technologisch Machbaren. Der Titel ist ein Wortspiel mit dem Begriff ‚multi-tasking', der simultanen Anwendung verschiedener Computerprogramme, ein Synonym für die Steigerbarkeit von Effizienz und Produktivität. Das fünfarmige, comicartige Männchen liest sich wie eine Karikatur der Flusser'schen "Säugetiergattung, die sich von den übrigen Gattungen durch das Benutzen von Werkzeugen unterscheidet" - Werkzeuge, bei denen es sich immer öfter um digitale tools handelt, während das archaische Profil des Männchens eher an die berühmten Kolossalköpfe der Osterinseln denken lässt.


Neben solchen ironisch-distanzierenden Gesten formuliert Hammes aber auch positive Gegenbilder, etwa wenn Dutzende von Mohnblüten in die Bilder collagiert werden und den Betrachtern die Möglichkeit eines rauschhaften, entgrenzenden Genießens suggerieren. Dabei ist charakteristisch, dass seine Kompositionen sich nie zu geschlossenen Gesamtentwürfen fügen. Stattdessen präsentieren sie - vergleichbar mit Windows-Oberflächen - divergierende Perspektiven und Bildentwürfe, und verbinden Projektionen alternativer Lebensweisen mit Zeichen von Entfremdung und Verdinglichung, die sich wechselseitig relativieren. In dieser Gleichzeitigkeit verschiedener, bisweilen unvereinbarer oder widersprüchlicher Weltsichten und -zugriffe spiegeln sich die - individuellen und gesellschaftlichen - Aufbrüche ins Nomadische wider, die die letzte Dekade des 20. Jahrhunderts charakterisiert haben.


Barbara Hess
Zurück