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Zwischen Himmel und Hölle
Hubertus Butin, Bonn 1995
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Zwischen Himmel und Hölle
Von 1987 bis 1990 arbeitete Manfred Hammes an einer umfangreichen Serie kleinformatiger Landschaftsbilder (Eitempera auf Leinwand). Bei diesem Werkkomplex der "Landschaften" stimmen Begriff und Anschauung nicht überein, denn die einzelnen Bilder sind komplexer und inhaltsreicher, als der vom Künstler selber gegebene, schlichte Titel vermuten läßt.
Die orthogonal ausgerichtete Einteilung der Bilder durch jeweils zwei sich kreuzende, schwarze Linien ergibt ein streng konstruktives Bildgefüge. Aus diesem Prinzip tektonischer Bildgliederung resultieren vier unterschiedlich große, rechteckige Flächen, welche autonome, aber doch aufeinander bezogene Bildwelten enthalten, die in spannungsreichem Kontrast zueinander stehen.
Die größte Fläche wird von einer imaginären Landschaft eingenommen, die eine äußerst malerische, subtile Farbgebung aufweist. In der Wahrhehmung besitzt diese Landschaft keine klare motivische Präsenz, sondern erscheint als lockere, kürzelhafte Abstraktion. Die drei kleineren Bildflächen treten als monochrome, blockhafte Farbformen auf, die durch lineare Figuren und Zeichen belebt werden: Rechts oder links von der Landschaft agiert in einem solchen Farbfeld eine auf wenige Linien reduzierte Figur, die in ihrer sparsamen Ausdrucksform an Kinderzeichnungen erinnert. Sie steht nicht für ein Individuum, sondern in ihrem verallgemeinerten, quasi archetypischen Modus für den Menschen schlechthin. In der schmalen Bildfläche unter der Landschaft läßt der Künstler meist archaische Zeichen oder Ornamente, die Urformen künstlerischen Ausdrucks, sichtbar werden. Das letzte und kleinste monochrome Feld in der jeweils rechten oder linken unteren Bildecke dient ihm selbstbewußt als Rahmen für Monogramm und Datierung.
So bilden bei Hammes die verschiedenen stilistischen Ausdrucksformen keine einander ausschließenden Gegensatzpositionen mehr, sondern die Antagonismen von Abstraktem und Figürlichem, Monochromem und vielfarbig Gegenständlichem werden zu einer Synthese aufgehoben. Historisch ist allgemein die frühere Monokultur der Stilmuster längst der Gleichzeitigkeit eines signifikanten Pluralismus gewichen, der sich nicht nur in der heute unübersehbaren Vielfalt der künstlerischen Strategien und Haltungen manifestiert, sondern - siehe die "Landschaften" von Hammes - auch innerhalb eines einzelnen Bildwerkes auftreten kann.
In welchem bedeutungsmäßigen Verhältnis stehen nun die gegensätzlichen,
zu einer Komposition zusammengefügten Bildteile? Die Figur des Menschen steht außerhalb der Natur in einem eigenen, isolierten Feld. Die Entzweiung von Subjekt und Natur wird lediglich durch einen meist ausgestreckten Arm der Figur überbrückt, der in die Bildfläche der Landschaft hineinragt bzw. -greift. Die Landschaftsmalerei als eine ästhetische Vergegenwärtigung der Natur wird bei Hammes somit zu einer Reflexion über das Verhältnis des Menschen zu dieser Natur. Am Ende des 18. Jahrhunderts bemerkte Schiller, daß die sehnsüchtige Hinwendung zur Natur gerade die Kehrseite des Verlustes jedes unmittelbaren Bezuges zu derselben darstellte, denn erst der Verlust des ursprünglichen Zusammenhanges ließ den Menschen die Natur sehnsüchtig und empfindsam wiederentdecken. Die Landschaftsbilder von Hammes sind dabei jedoch nicht von einem religiösen Naturverständnis erfüllt; er erhebt die Landschaft nicht zum Andachtsbild, zur Offenbarung des Transzendenten wie Caspar David Friedrich, der romantische Zeitgenosse Schillers. Trotzdem wird seine Malerei bestimmt von einer nostalgischen Sehnsucht nach einer heilen und zivilisationsfernen Natur, von einem Glücksanspruch auf private und unbeschwerte Naturerfahrung.
Doch scheint in manchen Bildern mehr als "nur" die Naturbeziehung des Menschen gestört zu sein. Die Natur selber und damit die existentielle Grundlage des Menschen erscheint zum Teil in einer apokalyptischen Endzeitstimmung als trostlose Einöde. - Daß die unter dem Aspekt der zivilisatorischen Nützlichkeit und wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit betriebene ausbeuterische Herrschaft über die Natur eine Naturzerstörung nie gekannten Ausmaßes bedeutet, mag zwar als Gemeinplatz gelten, was aber nichts an seiner Aktualität und zunehmenden Brisanz ändert. - In zahlreichen Bildern kann die Landschaft aufgrund des hohen malerischen Abstraktionsgrades nicht eindeutig als unberührte Idylle oder zerstörte Natur bestimmt werden. Dementsprechend kann es sich bei der Geste der Figur einmal um das sehnsuchtsvolle Streben des von der Natur entfremdeten Menschen handeln oder ein andermal um das verantwortungslose und unheilvolle Eingreifen des Menschen in die ökologischen Strukturen seiner Umwelt. Diese interpretativen Fragen läßt Hammes als in den Arbeiten angelegte Gradwanderung zwischen den Extremen offen. Die Offenheit der Werke im Sinne einer Mehrdeutigkeit der künstlerischen Aussage ist in diesen bewußt angelegt. Der Betrachter wird damit in besonderem Maße zur individuellen und selbständigen Bedeutungskonstituierung herausgefordert.
Das schmale Bildfeld unter der Landschaft mit seinen archaisch anmutenden Zeichen und Ornamenten, die sowohl abstrakt-geometrische als auch vegetabilische oder anthropomorphe Formen aufweisen können, erinnert an mythische Zeiten, in denen der Mensch noch in einer selbstverständlichen und unmittelbareren Beziehung zur Natur stand. Hammes verweist somit auf die Vergangenheit einer alternativen Form von Erkenntnis und Wissen, die im mythologischen Denken verborgen scheint. Auch wenn der Künstler seiner Arbeit mit dem Anspruch eines kritischen Einwirkenwollens auf die gesellschaftliche Realität nachgeht, so hebt er weder den didaktischen Zeigefinger noch zelebriert er ein moralisches Betroffenheitspathos. Das gesellschaftliche Engagement verbindet sich vielmehr mit dem spürbar lustvollen Umgang mit der sinnlichen Farbmaterie und ergibt eine eigenständige und konzentrierte Form künstlerischer Praxis.
Hubertus Butin
Bonn 1995
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