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Der einsame Reisende
Übersetzung des Textes von Egídio Álvaro, 1991
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Der einsame Reisende
Die Futuristen waren die ersten, die in ihren Werken der Zivilisation huldigten, die
Maschinen, Geschwindigkeit und Lärm hervorgebracht hat.
Heute, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend hat diese Zivilisation bereits unseren
gesamten Planeten erobert, und wir sind nur winzige Zahnrädchen in dieser
fortschreitenden Revolution. Autos, Fernseher, Computer, die Massenflucht in den
Ferien, Werbung und grenzenloser Konsum bilden unsere tägliche Landschaft, unsere
Gewohnheiten.
Fast unmerklich ist unser Blick auf die uns umgebende Welt ein völlig anderer
geworden. Unsere Perspektive ist die des Rückspiegels - die anderen sehen wir nur noch
im Vorbeifahren. Es ist dieselbe Perspektive, die wir vor dem Bildschirm einnehmen, der
uns aktuellste Informationen über die großen Katastrophen und das kleine Glück beschert.
Erst vor kurzem haben wir diese lange, einsame Reise angetreten.
Die Bilder von Karin Meiner zeigen uns diese Landschaft: sie erzählen vom Dschungel
der Städte und vom nicht abreißenden Verkehr auf den Straßen, wo jede rote Kugel ein
Auto und jeder Kern einen Menschen markiert, der sich in seinem blechernen Kokon
vollkommen geborgen fühlt. Kommunikation? Sie findet statt durch zwischengeschaltete
Signale und Informationen, immer auf Distanz. Der menschliche Körper erinnert sich nur
noch vage vergangener Lust. Seine Welt ist die der Fortbewegung und des
entfremdeten Handelns, die der Zivilisation aus Maschinen und Bildern.
Welche Möglichkeit hat der Künstler ?
Natürlich, er kann ästhetische Waren produzieren.
Aber manchmal bergen diese Waren einen Stachel, der den Betrachter zwingt, die
Augen zu öffnen, nachzudenken und die Wirklichkeit zu sehen.
Die Bilder von Karin Meiner sind Köder.
Sie sind erzählende Darstellungen voller Humor, die jedoch eine Unmenge von Fragen
aufwerfen und schließlich ein leichtes Unbehagen erzeugen.
Die Waffen der Robotermenschen sind Autos, Werkzeugarme kämpfen gegen
Monitorköpfe. Man fragt sich, ob der Sieger dieses Kampfes noch menschlich sein wird.
Können wir angesichts dieser Büchse der Pandora unbeteiligt bleiben, dem Gesang der
Sirenen widerstehen? Odysseus ist dies, an den Mast gefesselt, gelungen, jedoch um
den Preis unaussprechlicher innerer Qualen.
Wohin steuern wir, fragen uns diese Bilder mit zwingender Ironie.
Zum Glück, zur Extase oder zur völligen Entfremdung?
Alles ist möglich und alles hängt ab von diesem mikroskopisch kleinen Faktor, bekannt
als der Mensch, das animalische Wesen. Es träumt von den Sternen und schaufelt das
Grab der Planeten. Ein Riese auf tönernen Füßen, im Kopf ein Schlachtfeld.
Diese Bilder zeigen uns das einsame Herdentier, den Menschen, der mehr und mehr
zum Nomaden wird - ein Reisender ohne Blick für den zurückgelegten Weg , denn er ist
von Mauern umgeben. Die Natur ist kultiviert worden. Was kümmern uns die Wälder,
der Amazonas oder die verseuchten Flüsse? Selbst das Ziel der Reise ist nicht von
Bedeutung. Alles, was zählt, sind Hin- und Rückweg, zurückkommen heißt wieder in
Sicherheit sein.
Manchmal frage ich mich, ob man den anderen überhaupt noch sieht, ob das Leben nicht bloß
eine lange Reise ohne wirkliche Bewegung ist.
Das Individuum ist nicht mehr von Belang, nur noch dieses gigantische soziale Gefüge, an
dem die Träume zerbrechen.
Die Bilder von Karin Meiner stehen kompromißlos im Geist ihrer Zeit. Sie sind ein
perfekter Spiegel der Welt und der subtilen Ängste, die sie beherrschen. Sie zeigen
technologische Schlachten und den Sumpf der Ernüchterung.
Egídio Álvaro
Paris, April 1991
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